Gehört der Islam zu Deutschland?Prof. Peter Schallenberg (Geistlicher Beirat des KKV-Bundesverbandes): Fast sind wir der Diskussion schon überdrüssig, ob nun der Islam zu Deutschland gehört oder nicht eigentlich „nur“ die Muslime? Um es gleich vorwegzunehmen: Ich bin dezidiert der Meinung, dass ganz sicher die Muslime, wie überhaupt jede Frau und jeder Mann gleich welcher Religion oder Konfession, zu Deutschland gehören kann, so wie auch die Christen und Juden zu Deutschland gehören. Aber es gehört niemand zu Deutschland, weil er Christ oder Jude oder Muslim ist, denn Deutschland ist ein weltanschaulich neutrales Land mit vielen verschiedenen Religionen und Konfessionen - und zukünftig noch mehr! Sicher: Deutschland ist in seiner Geschichte entscheidend christlich und jüdisch geprägt, viel mehr als muslimisch. Aber deswegen ist es kein christliches Land, vielmehr haben wir, anders als in Frankreich und in den USA zwar, eine Trennung von Kirche und Staat. Nicht aber haben wir, und das wird häufig vergessen, eine Trennung von Religion und Staat, sondern sowohl in der Präambel unseres Grundgesetzes („In Verantwortung vor Gott...“) wie auch in Artikel 1 des Grundgesetzes („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) finden wir religiöse Bezüge, anders gesagt: Hier wird an einen personalen Gott gedacht, wie er in den drei großen monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam vor Augen steht. Das heißt dann: Jeder, der sich in Verantwortung vor einem solchen (gedachten) Gott und in Verantwortung vor den Mitmenschen sein Leben vorstellt, gehört definitiv zu Deutschland. Was meint das fast etwas verschämte und fast etwas unauffällig hineingeschmuggelte „gedacht“ in Klammern? Das meint: Niemand in unserem Land wird gezwungen zu glauben, dass die Idee eines personalen absoluten Wesens, das wir in deutscher Sprache „Gott“ nennen, sich offenbart hat und wirklich existiert, wie dies etwa Christen und Juden und Muslime glauben. Auch der Atheist kann frohgemut sich in Verantwortung vor Gott stellen, der für ihn, anders als für Christen und Juden und Muslime, nur gedacht und nicht wirklich ist. Das aber spielt hier in der Präambel keine Rolle: Gedacht ist hier an ein absolutes Wesen, jenseits von Raum und Zeit, vor dem mehr und größere Verantwortung besteht, als vor vergänglichen, in Zeit und Raum lebenden Menschen. Konkret geht es also um die Vorstellung, es gäbe eine Instanz jenseits unserer Welt und jenseits der Vergänglichkeit, die das Beste (das Leben und alle Grundrechte) jedes Menschen wolle und garantiere und vor der man sich zu verantworten habe in seinem Denken, Sprechen und Handeln. Es geht also um eine letzte ethische und moralische Instanz und eine letzte moralische Verankerung des Menschen. Gerade dies schien den Vätern und Müttern des Grundgesetzes nach dem Grauen der Nazi-Diktatur besonders wichtig zu sein: Verantwortung für die Grundrechte des Menschen vor mehr als nur vor parlamentarischen Mehrheiten! Denn die Demokratie braucht ein Wertefundament und genau dies meint Artikel 1 und der Begriff der „Würde“: Jeder Mensch, unabhängig von allen zusätzlichen Eigenschaften und Überzeugungen, ist unantastbar, weil er sich nicht dem Willen von Menschen und Mehrheiten, sondern dem Willen eines (gedachten) Gottes verdankt. Und Christen, Juden und Muslime bekennen zusätzlich: Dieser Gott ist nicht nur eine sehr gute Idee und ist nicht nur gedacht, sondern existiert wirklich. Für Christen als Vater Jesu Christi, der diesen Vater offenbart hat in eigener Person und bis zum Ende der Geschichte offenbart in seiner Kirche. Jeder also, der sich zu dieser Denkmöglichkeit absoluter Gutheit und zu dieser absoluten Menschenwürde jeder Person bekennt (unabhängig von Glaube oder Blasphemie), gehört zu Deutschland, mehr noch: gehört zu Europa, ja mehr noch: gehört zur globalen Menschheitsfamilie mit absolut gleichen Rechten und gleicher Würde! Und jeder, der sich dazu nicht bekennen würde oder wollte, müsste unbedingt eines Besseren belehrt werden und erzogen werden und notfalls (als letzte Möglichkeit und nach gerechter Gerichtsuntersuchung) resozialisiert werden. Denn das ist die Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft und auch unseres Staates: Der Mensch ist ein soziales Wesen. Oder, mit Thomas von Aquin: Jeder Mensch soll dem anderen Mensch Freund sein! Nicht Wolf... Professor Schallenberg ist ist Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) in Mönchengladbach und Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie und Ethik an der Theologischen Fakultät Paderborn. Quelle: http://www.die-tagespost.de/politik/Kolumne-Gehoert-der-Islam-zu-Deutschland;art314,176870, Bild: Theologische Hochschule Paderborn |